Hi. Vor einiger Zeit habe ich auf DIDIMOS von Leuten gehört, die sich einfach aus der Standardcommunity lösen. Sich wegdestillieren in die untergehende Sonne und so. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an die Meldung: „Immer mehr Menschen melden sich in Deutschland ab, schwingen sich aufs Rad und verschwinden“. Mehr wurde da leider nicht ausgedrückt, nur eben, die Leute verabschieden sich. Finden (hoffentlich) was Schönes, Utopia statt Dystopie (auch wenn’s ja heißt, dann ist das Hier-so echt uncool; warum sonst weg?). Da kam ich auf die Idee, das selbst mal zu versuchen und einen Text darüber zu verfassen; über DIDIMOS, Danke dafür, habe ich eine Community-Punktegarantie fürs Bedingungslose bekommen. Und dann machte ich mich auf den Weg.
Es war ein Sonntag im Sommer, als ich mich aufs Rad schwang. Auf ein echtes Oldschool-Teil, ohne Elektro und so. Ich trat einfach in die Pedale, aber schon mit einem Ziel, gebe ich zu. Für die erste Woche hatte mein Assist eine Reihe billiger Unterkunftsangebote für mich aufgereiht. Zuerst war ich zwei Tage auf Ernte in Brandenburg. Dann hatte ich Zeltplätze reserviert. Ich traf viele Leute, auch solche, die beispielsweise in Mobilwohnungen leben. Die waren schon etwas anders. Aber sie alle hatten Immobrillen und so, einer davon bezeichnete sich als „Randerscheinung“, aber irgendwie wirkte er nicht, als wolle er „fort“, oder „etwas anders machen“. Er hatte irgendwie einen Platz in der Gemeinschaft, in seiner Community, im Staat oder so. Es gab jede Menge Sportos. Ich wurde von so manchem Radschwarm überholt, alle in Funktionsschale geschmissen. Die traf ich, wenn ich in einer Radstation anhielt oder mal übernachtete. Einmal sprach ich mit einer Firmenleiterin, die sagte, sie fände zu sich, wenn sie so unterwegs ist. Aber sie und alle die anderen gingen ja auch wieder zurück. Von den oben erwähnten „Wegfahrery“ keine Spur.
Ich radelte also weiter durch den Sommer und in den Herbst hinein. Ich gebe zu, irgendwann vergaß ich meine Mission. Die vorgeschossenen Community-Credits für den Artikel waren längst aufgebraucht, das Ergebnis angemahnt und aufgeschoben, aber ich konnte gelegentlich für ein paar Credits helfen, blieb auch mal eine Woche irgendwann, ich schlug mich durch und ließ die Welt eine gute Bühne sein. Nutzte meine Ontime nur noch, um mich mit dem nötigsten Infos zu versorgen, blickte in den Himmel und genoss, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, Wolken, Wälder und Wege, einfach so. Ich vergaß Didimos, Krisen und zuerst auch den dann nahenden Winter. So fand ich mich im Spätherbst in der Sumava wieder, mit dem Gedanken, die Burg Rabi zu besuchen, von der ich einiges gehört hatte. Auch gab es in der Gegend eine Community, die für die kalte Zeit Altenbetreuery mit/ohne Ausbildung suchte und Unterkünfte anboten. Vielleicht war ich fast glücklich, jedenfalls fühlte ich mich befreit. Ohne mich mit dem Schreiben mehr als nur flüchtig zu beschäftigen ist mir, da ich dies nun niederschreibe, klar, ein solcher Zustand ist ein geeigneter Plotpunkt für eine Katastrophe. Meine Kette riss mit einem lauten Pa-Pong.
„Hallo“, sagte der Mann, und brach aus der Dunkelheit. Seine Augen blitzten, seine Frisur hatte bessere Tage gesehen, und der Bart, Grau durchschossen, hatte keine rechte Form. Doch er kannte sich mit Fahrrädern aus, und so hatten wir gemeinsam schnell meinen Reifen geflickt und wieder angebracht. Er lud mich sogar zum Abendessen ein. Ein platter Reifen bescherte mir also die Begegnung mit Fela und Corinna, die zusammen reisten. Um das Lagerfeuer, nahe dem sie ihr und dann auch ich mein Zelt aufgebaut hatten erzählte ich meine Geschichte, erwähnte den Artikel, DIDIMOS und die Wegfahrery. Die beiden lachten.
„Wir sind vielleicht genau das, was du suchst“, schmunzelte Corinna, wie Fela um einiges älter als ich. Sie trug ihr Haar lang und prostete mir mit dem Wein, den sie großzügig teilten, zu. „‘Wegfahrery‘, ein netter Ausdruck. Aber du sagst, wir sollen uns einfach so vom Bedingungslosen ernähren? Das ist kaum wahr. Es gibt sowas wie eine ‚Gegenwelt‘ der ‚Ausgestiegenen‘, und klar lässt mensch sich, unterwegs, das Bedingungslose auszahlen, meist allerdings nur im Minimalbereich. Viele von uns haben aber lange gespart, um sich dies zu ermöglichen. Und … es soll sehr viele von uns geben? Das glaube ich so nicht … Immer mehr, ja …“
„Aber einige gibt es. Vielleicht sollten wir sie mitnehmen?“
„Wohin“, fragte ich, zu schnell, aber plötzlich fühlte ich mich so etwas wie einem Geheimnis nahe. Ich fühlte Erregung.
„Zum Spielplatz?“, sagte Corinna mehr zu Fela als zu mir. „Ich weiß nicht …“
„Aber warum denn nicht? Hast du Angst, dass sie einen Artikel schreibt?“
„Hm. Nein. Eigentlich nicht. Aber … was sollte sie das interessieren? Irgendwie erscheint es mir falsch, den Spielplatz zur … Unterhaltung anzubieten.“
„Hm,“ sagte Fela. „Möchtest du etwas dazu sagen?“
„Hm,“ sagte ich. „Ich wüsste gerade nicht genau, was. Würde aber gerne mehr über euch erfahren. Könnt ihr nicht einfach ein wenig ins Blaue monologisieren? Ich bin auch gerne Publikum“
Mit diesem Kunstgriff hatte ich nun die Bühne aufgebaut. Corinna und Fela verbeugten sich, lachten. Dann blickte Corinna in den Sternenhimmel und holte tief Luft.
„Das ist ein gutes Stichwort. Im Grunde geht es ein wenig darum, nicht mehr Publikum zu sein. Publikum des Weltgeschehens, Publikum der großen Politik, Publikum des Schicksals …“
„Auch Publikum der Schuld, also der Schuld der Anderen … All das löst sich auf, auf dem Spielplatz.“
„Hier sollten wir vielleicht klarstellen, der erwähnte Spielplatz ist eine Theaterbühne. Aber eben nicht normal. So ohne Publikum. Fela, vielleicht erklärst du eher, was da so passiert?“
„Die Idee ist einfach. Alle Anwesenden kennen den Text. In diesem Fall handelt es sich um ‚Die Räuber‘, ein echt altes Stück. Alle spielen mit, übernehmen eine oder mehrere Rollen. Rollen können mehrfach besetzt sein. Jede Szene wird so oft gespielt, wie die Anwesenden Spaß daran haben. In Variationen.“
„Das mag jetzt schräg klingen und so gar nicht hochkulturig. Es macht jedenfalls Spaß …“
„Diesmal will Corinna unter anderem einer der Karl Moors sein; also ein Adeliger, der durch die Machenschaften seines Bruders, der schon von der Natur zum Schurken gestempelt wurde, seinen Platz verliert und daher die Ordnung stört.“
„Und du wärst dabei einfach nur Publikum, das finde ich schwierig …“
„Vielleicht reden wir kurz darüber, was du und ich an dem Stück interessant finden. Ich mag es eigentlich nicht mal besonders …“
„OK. Naja, weil es irgendwie um das Aussteigen geht, um Leute wie uns … oder auch nicht. Die Räubery in Die Räuber sind ja eine Gegengesellschaft. Aber Karl Moor, die Hauptfigur, ist nur deren Anführer, weil er um seinen rechtmäßigen Platz betrogen wurde. Er ist sozusagen eine beleidigte Heldenbrust … Ich mag das Stück und finde, Schiller zeigt schon auch die negativen Seiten von Karl, auf so eine Art blinde Supermoralität.“
„Für mich findet Schiller in dem Stück, die einen sind Alphas, die anderen Schafe und Wölfe.“
Corinna sah einen Moment nachdenklich aus, hob den Zeigefinger, lächelte und schüttelte den Kopf.
„Das Stück wurde in einer anderen Zeit geschrieben, wir sollten nicht versuchen, alles direkt aus dem Blickwinkel unserer Zeit zu sehen. Aber wir können eben Anregungen darin finden. Wir folgen nicht den Gedanken des Autory, sondern nutzen sie als Treppenstufen.“
„Aber dürfen wir nicht auch mal sagen: Irgendwie waren die Leute damals falsch drauf?“
„Irgendwie ja, aber was bringt das? Ein besseres Gefühl, weil ‚wir‘ eben mehr unseren ethischen oder moralischen Vorstellungen entsprechen als ‚die‘?“
„Aber wenn wir nun mal die besseren Argumente und die besseren Ansichten haben als der leider überall anzutreffende ‚Pöbel‘, wie Schiller sagt, der ‚sein Großes nicht verstehen kann‘ …“
„Nun, vielleicht meinte er damit ja die Metaebene …“
„Hm, macht das einen Unterschied?“
Fela machte eine unsichere und irgendwie unpassende Geste.
„Ich denke, du siehst ein wenig, wie das auf unserem Spielplatz zugehen wird. Wir werfen uns in die Brust, zweifeln in der Gegend herum und lachen darüber. Wir irren uns ständig, und finden in jedem Irrweg einen Funken. Anders gesagt: Wir leben die Utopie der freien Form. Aber auch das ist eher nur eine stereotype Aussage.“
„Aber wir versuchen eben, nicht total in Kritik oder Albernheit zu verfallen. Und das ist alles noch relativ neu. Wir machen das jetzt zum fünften Mal, waren von Anfang an dabei. Zuerst hat einer immer wieder Kartoffelsalat herumgeworfen … das war zweimal lustig, dann war das vorbei, obwohl er’s nochmal anbrachte …“
Nun. Am Ende des Abends habe ich mit mir einen Kompromiss geschlossen. Ich berichte bis hierhin. Dann nehmen Corinna und Fela mich mit zu diesem Spielplatz. Und dann, ja, dann sehe ich weiter …