DIDIMOS : Hallo, und wir wollen heute über die Konsequenzen von Bremerhaven sprechen.
UKRASKY : Was extrem nötig ist. Immerhin wurde meine Wahlheimat zerstört.
DIDIMOS : Sie sind Bremerhavenerin?
UKRASKY : Ich habe dort seit den 20ern mit meiner Familie gelebt, habe die Stadt aber schon vor fünf Jahren verlassen. Dass so etwas irgendwann passieren würde, das war eigentlich klar.
DIDIMOS : Ihnen, aber nicht der Politik?
UKRASKY : Die Politik wollte nicht reagieren. Ich kann es den Politikerinnen auch nicht verdenken. Stellen Sie sich vor, welchen Aufschrei es gegeben hätte, wäre Bremerhaven rechtzeitig aufgegeben worden. Das hätte keine Partei, keine Politikerin überlebt.
DIDIMOS : Aber wären nicht auch andere Maßnahmen möglich gewesen? Hätte die Stadt geschützt werden können?
UKRASKY : Sicher, aber zu welchem Preis? Und wann hätten diese Schritte eingeleitet werden müssen, wer hätte die Verantwortung übernehmen wollen oder können? Es ist schon lange zu spät, selbst für eine vernünftige Anpassung an das veränderte Klima. Das ist aber kein Wunder. Da ist nicht nur der allgemeine Unwille, der sich in den regionalen Kriegen ausdrückt, an denen wir beteiligt sind – alles nur Wege, sich vom eigentlichen Thema abzuwenden! Schon lange verfügt unsere Regierung nur über wenige freie Mittel, und selbst wenn mal irgendwo ein politischer Wille ist, wird jede Ausgabe von irgendwem kritisiert. Deswegen sage ich, dieses Ereignis zeigt im Grunde nicht das Versagen der Politikerinnen, sondern das Versagen unseres demokratischen Systems, das nicht mehr zeitgemäß ist.
DIDIMOS : Sie sagen jetzt aber nicht, wir sollten „weniger Demokratie wagen“, wie es ja manche fordern?
UKRASKY : Hier müssen wir genauer hinsehen. In einer Demokratie haben die Bedürfnisse der Bürgerschaft die Politik zu bestimmen – nicht die Meinungen der Leute. Mehr Demokratie bedeutet heute bessere Governance. Eine bessere Regierung, eine Regierung der zertifizierten Expertinnen. Im Zweifel eben auch gegen die aktuellen Überzeugungen der Wählerschaft. Wir müssen verstehen, dass unsere Demokratie eben nicht mehr in den Kinderschuhen steckt. Anders gesagt, unser Politikapparat ist inzwischen viel gerechter, viel weiser und viel besser als es die Wählerinnen sind. Und das ist gut, das ist richtig so, denn den normalen Menschen fehlen eben oft Informationen. Wir müssen diesen ganzen Kinderkram hinter uns lassen und die Demokratie in die Hände der Profis geben. Der Expertinnen und der geregelten, systemdemokratischen Abläufe.
DIDIMOS : Ich weiß nicht, ob ich dem zustimme …
UKRASKY : Dann sollten Sie nachdenken. Aber wir wollten ja eigentlich über Klimathemen sprechen. Sehen sie, wir leben in einer immer schwieriger werdenden Welt. Die fetten Jahre sind eben einfach vorbei. Und dennoch wird es den Politikerinnen schwer gemacht, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Dabei sind diese nötig. Wir müssen akzeptieren, dass der Wohlstand weniger wird. Sogenannte „demokratische Bürgerinnenrechte“ dürfen nicht immer Priorität haben, weil sie eben ein Luxus sind, den wir uns nicht mehr leisten können. Denn wir befinden uns in einem Kampf ums Überleben der Zivilisation, der Demokratie. Daher müssen wir Referenden, Einspruchsrechte, auch Wahlfluktuationen einschränken. Anders kann unsere Gesellschaft nicht handlungsfähig bleiben. Und wir müssen akzeptieren, dass manche Landstriche unbewohnbar werden, geräumt werden müssen …
DIDIMOS : Es gibt einige Menschen, die nach Bremerhaven oder in ihre Heimatdörfer an der Küste zurückkehren möchten.
UKRASKY : Das sind ewiggestrige, unvernünftige Leute. Aber bitte. Wenn sie das wollen, müssen sie sich aus unserem Sozialsystem ausklinken. Sie müssen ihre deutsche und europäische Staatsbürgerschaft aufgeben. Es ist zu gefährlich. Und wenn diese Leute dann Probleme haben, können wir sie nicht mehr aufnehmen. Kranke und gebrechliche Menschen ohne Eigenvermögen verursachen enorme Kosten. Vom Staat nicht vorgesehene Risiken einzugehen, das muss Konsequenzen haben.
DIDIMOS : Sie schreiben in Ihrem Buch, die jetzige Situation hätte vor 40, 50 Jahren noch abgewendet werden können …
UKRASKY : Allerdings, wenn auch nur noch knapp. Wir wissen heute, ein guter Teil des Wandels hin zu einem Klima, das mehr Risiken bedingt, war bereits unabwendbar. Aber hätten die Leute alles investiert, um zivilisatorische Bereiche zu schützen, so wäre das noch möglich gewesen. Stattdessen wurde weiter auf Wachstum gesetzt. Nehmen Sie Deutschland. Ohne die starke und damals auch gewollte Zuwanderung hätten wir heute eine viel geringere Menschenmenge. Mit anderen Worten, wir hätten Platz.
DIDIMOS : Aber damals fehlten die nötigen Arbeitskräfte.
UKRASKY : Das ist die offizielle Sicht. Die Arbeitskräfte fehlen aber nur, wenn, wie das damals und auch heute noch der Fall ist, weiter auf Wachstum gesetzt wird. Wir verstehen inzwischen, dass wir kaum mehr Menschen brauchen, um einen gut definierten Wohlstand, eine gut definierte Zivilisation aufrecht zu erhalten. Die schiere Menschenmenge ist zu einem ernsten Problem geworden, und ich behaupte, das starke Wachstum der Menschheit ab etwa 1900 ist überhaupt der Grund für diese Probleme, nicht nur der Lebensstil der oberen 10 % und der Konsum, wie viele gerne behaupten. Es sind die Menschen, die in ihrer Masse die Natur ersticken. Und dann kam so Mitte der 20er die neue Wachstumslüge auf, nämlich das mit neuen Technologien, mit einer laborbasierten Ernährung und so weiter alles besser werden würde. Ich gebe dieser neuen Wachstumslüge die Schuld an dem Bevölkerungswachstum, das wir seither erlebt haben. Wussten Sie, dass es weit über den 2020 angestellten Medianprognosen liegt? Der Luxus der Überbevölkerung, den wir uns leisten, wird das Ende unserer Zivilisation sein.
DIDIMOS : Aber wir haben, wenn auch zu spät, in Kern-Europa die Klimaneutralität erreicht …
UKRASKY : Wir haben Netto-Null erreicht. Und viel zu spät, wie Sie schon sagten. Aber das ist egal. Das zahlenmäßige Wachstum, die schiere Masse der Menschen wird zum Kollaps der Zivilisation führen. Deswegen müssen wir nun hart durchgreifen.
DIDIMOS : Wir danken für dieses Gespräch.