DIDIMOS Botschafterin Deguchi, vielen Dank, dass Sie mit uns sprechen …
DEGUCHI Es ist mein Privileg.
DIDIMOS Gerade wurde das Sakura-Haus gegründet, die deutsch-japanischen Beziehungen sollen gefördert werden. Gleichzeitig will ihr Land, trotz internationaler Sorgen und Proteste, sich von der globalen Community isolieren. Ist das nicht ein Widerspruch?
DEGUCHI Aus Ihren Worten ersehe ich, dass Sie Japan mit Interesse begegnen. Das freut mich. Ich möchte sagen, dass die japanische Regierung geäußerte Bedenken gewissenhaft prüft. Vielleicht liegt hier ein Missverständnis vor. Japan hat keineswegs vor, sich vollständig von der Außenwelt zu isolieren. Es geht eher darum, eine Kultur zu schützen.
DIDIMOS Wie soll ich das verstehen?
DEGUCHI Es ist eine schwierige Wahrheit. Tourismus und andere Globalisierungseffekte haben zu einer Verunreinigung der japanischen Kultur geführt. Japan möchte dem durch sinnfällige Restriktionen entgegenwirken, so, wie es westliche Länder seit Jahrzehnten in der Frage der Zuwanderung tun.
DIDIMOS Eine Verunreinigung, also, ich würde sagen, das ist kein Wort, das in diesem Zusammenhang angebracht ist.
DEGUCHI Ich entschuldige mich für meine Ausdrucksweise.
(Schweigen)
DIDIMOS Eine Sache, die ich nicht so ganz verstanden habe, war die Aussage, Japan wolle „einen eigenen Weg in der kulturellen und industriellen Neuausrichtung gehen“. Könnten Sie mir das erklären?
DEGUCHI Gerne, soweit ich es verstehe. Die Klimaanpassung hat zu positiven Veränderungen geführt. Japan hat alle Ziele erreicht, gehört zu den wenigen Ländern, die zur Klimaneutralität gefunden haben. Disziplin und die freiwillige Einhaltung vernünftiger Vorgaben transformierten Alltag und Industrie. In Japan gibt es aber das Gefühl, das Erreichte wird von Außen nicht nur nicht gewürdigt, sondern durch den globalen Einfluss sogar untergraben. Gemeint ist eine langsame Verwestlichung, die zu mehr Egoismus, mehr Reibung, weniger Vernunft führt. Ein Beispiel. Japans Nahrungsmittelindustrie basiert auf Neufleisch und veganindustriellen Produkten. Die japanischen Lebensmitteltechniker und Köche haben Großes geleistet, traditionelle Gerichte erhalten, oft verbessert. Dennoch wird Japan angefeindet, da es weiter Würzzutaten auf Fischbasis und traditionelle Fleischgerichte gibt.
DIDIMOS Wenn die japanischen Veganprodukte so gut sind, warum wird dann noch Tierfleisch gegessen?
DEGUCHI In Japan dürfen Säugetiere nicht mehr ermordet werden, die Verarbeitung des Kadaverfleisches ist erlaubt. Die kleine Menge an Nutztieren, die für traditionelle Gerichte gehalten wird, lebt ein gutes Leben. Die entsprechenden Produkte sind hochpreisig. Ich verstehe die Kritik nicht. Hier in Europa ist der Echtfleischkonsum trotz starker Lobbyanstrengungen viel höher – meist aufgrund identitär-religiöser Tendenzen.
DIDIMOS Aber in Japan wird Fangfisch verarbeitet.
DEGUCHI Sie haben natürlich Recht.
(Schweigen)
DIDIMOS Ich möchte nochmal den DJF, den Verein für Deutsch-Japanische Freundschaft, erwähnen. Ist es nicht ein Widerspruch, hier Verbindungen aufbauen zu wollen und sich gleichzeitig abzuschotten?
DEGUCHI Es ist vorgesehen, den Tourismus und die Präsenz ausländischer Unternehmen auf ein verträgliches Maß zu reduzieren.
DIDIMOS Was meinen Sie damit?
DEGUCHI Japan will nur eine bestimmte Anzahl an Besuchern pro Jahr zulassen, bevorzugt solche, die Japanisch sprechen. Ausländische Unternehmen werden Produkte über japanische Zwischenhändler anbieten müssen, internationale Franchises werden so nicht mehr existieren. Was den Kontakt zur Außenwelt angeht, Japan will sich keineswegs von den Gedankenströmen trennen. Natürlich bleibt das Internet offen. Natürlich werden unsere Immoseen internationalen Besuchern offenstehen; auch Bürgern solcher Länder, die sich vielleicht entschließen, ihre virtuellen Kulturangebote für Japaner zu schließen. Japans versucht, einmalig zu bleiben. Ich verstehe, dass Japan für die meisten Nichtjapaner unverständlich bleibt.
DIDIMOS Halten Sie das nicht für eine etwas arrogante Aussage?
DEGUCHI Möglicherweise haben Sie recht.
(Schweigen)
DIDIMOS Sie beenden Ihre Tätigkeit als Botschafterin in Berlin Ende dieses Jahres. Freuen Sie sich schon auf Japan?
DEGUCHI Ich werde in Deutschland bleiben.
DIDIMOS Können Sie dann nicht mehr nach Japan zurück?
DEGUCHI Sie spielen darauf an, dass die Regierung plant, die Stimmrechte von Personen, die Japan für mehr als ein Jahr verlassen, einzufrieren. In meinem Fall ist das anders.
DIDIMOS Wieso?
DEGUCHI Die Arbeit im höheren Staatsdienst birgt zahlreiche Vorteile.
DIDIMOS Ist das nicht unfair?
DEGUCHI Auch in Deutschland haben Tätigkeiten oder die Erkennung auf Förderungswürdigkeit durch den Staat zahlreiche Vorteile.
DIDIMOS Das mag sein, aber finden sie das nicht elitär?
DEGUCHI Persönlich teilweise ja. Allerdings sehe ich hier keinen wesentlichen Unterschied zwischen Japan und den meisten anderen Kulturen.
DIDIMOS Nun gut … Was wollen sie hier tun?
DEGUCHI Dank der Anerkennung meiner Arbeit durch Japan konnte ich ein Haus in Heidelberg erwerben. Ich möchte in dieser wundervollen Stadt eine Dependance der DJF leiten.
DIDIMOS Wie ich höre, wurden Sie für den Bundespreis für interkultureller Kommunikation niminiert. Sie müssen auf ihre Leistungen stolz sein.
DEGUCHI Ich bin auf das Erreichte stolz. Also nicht auf meine Leistung, sondern auf das gemeinsame Projekt. Das ist vielleicht auch eine der Besonderheiten Japans. Japan ist stolz auf das Gemeinsame.
DIDIMOS Wie meinen Sie das?
DEGUCHI Gut ist es, wenn jeder den Ansprüchen des Moments genügt. Dann können wir gemeinsam auf das Erreichte stolz sein, egal, an welcher Stelle wir wirkten. Insofern ist Japan ein Gegenentwurf zu den lokalen Wirklichkeiten, in denen Lobbykräfte oder Interessengruppen miteinander ringen, wobei am Ende keiner wirklich zufrieden ist. Japan möchte keine Splitterkultur werden.
DIDIMOS Aber das ist … Verzeihung, aber ihr Japan hört sich dann doch nach dem Ausdruck einer Ideologie an. Wie Kommunismus oder … Naja …
DEGUCHI Ich glaube, Japan ist eine besondere Kultur, die ihrem besonderen Schicksal folgen muss. Ich bin sicher, die Isolation Japans wird kein Leid bedingen.
DIDIMOS Was ist mit Bewegungsfreiheit? Meinungsfreiheit? Kulturaustausch?
DEGUCHI Ich glaube, diese Fragen bereits beantwortet zu haben.
DIDIMOS Und wenn Japan so toll ist, wieso bleiben Sie dann hier?
DEGUCHI Ich lebe schon lange in Deutschland, habe hier Seiten in mir entdeckt, die mir wichtig sind. Ich darf ehrlich sein. Auch ich sehe die Entscheidung meines Landes teilweise kritisch. Aber ich halte das japanische Experiment für interessant.
DIDIMOS Aber wieso ein solches Experiment wagen, wenn doch bekannt ist, dass identitäre Bestrebungen negativ sind?
DEGUCHI Ich bin nicht sicher, ob Sie Recht haben.
(Schweigen)
DIDIMOS Können Sie uns noch etwas sagen, eine Prognose abgeben oder so?
DEGUCHI Vielleicht möchte ich etwas zum Begriff der Kultur anmerken. Kultur formt Menschen, weil und wenn Menschen die Kultur formen. Ich denke, Japan geht diesen Weg, da der zweite Teil dieses Gedankens in der aktuellen Form der Globalisierung an Kraft verliert. Ich hoffe, hier mit Ihnen und den Bürgern Deutschlands diesem zweiten Satzteil wieder zu mehr Bedeutung zu verhelfen. Dies wäre etwas, auf das wir alle stolz sein könnten. Trotz all der Widersprüche. Und verzeihen Sie das Stereotyp, aber ich empfinde Japan als eine Kultur, die Widersprüche in sich vereinen kann.
DIDIMOS OK, ich halte eher Deutschland für das Land der Widersprüche.
DEGUCHI Sie haben sicher Recht.