Aktuell wird weltweit und auch hierzulande wieder viel über Isolation debattiert. Kein Wunder, die Ereignisse in Japan schütteln die ganze Welt durch. Zwar wird das Land, das die „neue Isolation“ (Sakoku) ausgerufen hat, von vielen Seiten kritisiert, manche fordern sogar ein militärisches Eingreifen der größeren Mächte oder gar Chinas. Aber das ist nur die eine Seite. Zum einen – was eine militärische Intervention unwahrscheinlich erscheinen lässt – wird die Isolation in Japan keineswegs so absolut gedacht, wie es oft angenommen wird. Wirtschaftsbeziehungen sollen weiter bestehen, es dürfen Waren ein- und ausgeführt werden, allerdings wird globalen Konzernen tatsächlich das Recht abgesprochen, Filialen innerhalb Japans zu betreiben. Auch wird es für Japaner keine Reisebeschränkungen geben (allerdings werden demokratische Stimmrechte in Japan nach einer Abwesenheit von über 12 Monaten vorläufig entzogen). Die Zahl der Touristenvisa für Ausländer soll allerdings begrenzt werden. Interessant ist, dass manche Politikery vieler anderer Länder dem Modell einiges abgewinnen können – sowohl die Neurechten als auch die Patalinken. Den internationalen Generationenparteien dürfte es z. B. durchaus interessant erscheinen, Deutschland oder Europa wieder eine „geschützte Leitkultur“ zu geben. Aus deutschen (und anderen) Unternehmerkreisen wird dagegen vor dem „Ende des Globalismus“ und einer „Verarmung durch Zersplitterung“ gewarnt. Als Medium des Zweifels sitzen wir zwischen den Stühlen, wollen eine Welt der freien Bewegung und des allgemeinen Wohlstands ohne eine Trennung in Gesellschaftsstrata.
In dieser Situation steht der inzwischen schon einige Jahre alte Blog – „Das neue ぶしどう“ – (wird meist „Fu-Shi-Doo“ gesprochen) wieder ganz oben in den Abruflisten, das gleichnamige Manifest wurde global Millionenfach heruntergeladen – etwas, das in den letzten Jahrzehnten, trotz Realtime-Übersetzungen, keinem anderen deutschen Autory gelungen ist. Dabei ist über das hinter dem Pseudonym „Gaijin“ versteckte Verfassery wenig bekannt. Interviewanfragen werden ebenso abgelehnt wie lukrative Auftrittsangebote. So schlug Gaijin eine Einladung zum jährlichen Can-do-Treffen der Generationenpartei aus, die den Blog bereits zuvor mit einer Subvention für integrative Kommunikation geehrt hatte.
Als kleines Schmankerl haben wir hier ein paar Auszüge aus dem „ぶしどう“, mit freundlicher Text-Only-Genehmigung von Gaijin. Das Autory gibt die Inspiration durch das „Hagakure“ (einem japanischen Text aus dem 18. Jahrhundert) und den fragwürdigen japanischen Autor Mishima (aus dem 20. Jahrhundert) übrigens offen zu und möchte mit seinen Texten den Weg zu einer „würdigen und sinnvollen Gesellschaft“, das ist ein ebenso schönes wie leeres Zitat aus dem Blog, aufzeigen. Damit fand Gajin in verschiedensten Gesellschafts- und Ideologiekreisen Interessenten. Wir nehmen keine Stellung ein und weisen nur darauf hin, dass nichts von den folgenden Aussagen die Haltung der Redaktion wiederspiegelt. Text ab:
„Versuche, Höhergestellte offen zu kritisieren oder deren Führungsfähigkeiten anzuzweifeln, zeigen nur, dass die kritisierende Person nicht den Weg des klaren Herzens eingeschlagen hat. Denn wen der Strom der Geschichte an eine hohe Stellung gespült hat, ist aus diesem Grund geeignet, um diese Position auszufüllen. Und wo es doch einmal so ist, dass eine höhergestellte Person, eine Managerin oder Künstlerin, einmal vom Weg des klaren Herzens abkommt, so ist es immer besser und verständiger, diesen Umstand verdeckt anzudeuten, oder eine mögliche Korrektur dieser Person so zuzuspielen, dass diese, wie es ihr Recht ist, sie zu ihrer eigenen Erkenntnis erklärt, anstatt das gewachsene Gefüge der Community zu stören. Die Person, die ihren Platz in der Community akzeptiert, wird ihre Rolle sicherlich gut ausfüllen, denn durch die Akzeptanz kommt das Glück der richtigen Platzierung. Und dieses Glück ist für alle gleich, hoch wie niedrig. Mehr zu erwarten, ist töricht.“
„An Kulturprodukten sollte der einfache Mensch im Erwachsenenalter nur das konsumieren, was seinen Aufgaben und seinem Denken zuträglich ist. Eitles Abweichen in andere Gebiete des Wissens oder der Bestpractice dienen nur dazu, die Klarheit des Geistes zu verwirren. Warum sollte ein Programmierer wissen, was eine Managerin zu beachten hat, wenn sie ihre Workforce formt, was eine Politikerin, wenn sie die Bürgerschaft lenkt? Das Wissen ist nur ein Werkzeug in der Hand von Werkzeugen; es unnötig auszuweiten, heißt, das Werkzeug abzustumpfen.“
„Am wichtigsten überhaupt ist es, sich immer die Sicherheit des Todes vor Augen zu halten. Denn diese Sicherheit hilft, die Arroganz der Individualität abzulegen. Es ist leicht zu erkennen, dass Klan und System über den eigenen Tod hinausweisen; ich möchte es nochmals mit anderen Worten ausdrücken. Der Tod hält nur Schrecken, wenn wir kurzsichtig sind. Klan, rechte Haltung, System … all diese Dinge sind stärker und strahlender als der Tod. Deswegen ist sich jeder aufrechte Mensch sicher, dass er jederzeit sterben könnte. Und diese tiefe Sicherheit nährt seine absolute Hingabe an Leader, Familie und Staat.“
„Obwohl es für alle von Vorteil ist, sich vom Leben und der Community führen zu lassen, da so der Tod kein Reich mehr hat und der Mensch in der übergeordneten Menschennatur aufgeht, so gibt es doch einen anderen Weg. Es ist nicht der Weg der Kriegerin, es ist nicht das Fu-shi-do, und es ist kein Weg, den ich gehen könnte. Gemeint ist der Weg der Lösung aus dem Rad des Seins, aus Community, Hierarchie und Geschichte. Manche haben behauptet, dies wäre ein Weg, der über den der höhergestellten Menschen hinausgeht. Doch die Vögel fliegen auch über den Menschen, ohne diesen in irgendeiner Weise überlegen zu sein. Früher waren die Menschen verständig genug und reinen Herzens genug, solche Wege instinktiv zu meiden. Heute dagegen gibt es viele, die nicht mehr verstehen, dass wir nur im größtmöglichen Verwandtschaftskreis Erfüllung finden. Denn wer die Community verlässt, wer nicht versteht, dass die Leader unser aller Mütter und Väter sind, der verlässt den Wegen des klaren Herzens.“
„Neid, Habgier und Streben um des Strebens willen sind Übel, die durch eine zu flexible Ordnung innerhalb der Community befördert werden. Da wir Menschen sind, sind diese Dinge nicht auszurotten; so ist etwa der Neid zwischen Geschwistern und auch das Geltungsstreben zwischen Managerinnen ganz natürlich und zum Teil der Community auch nützlich. Aber da, wo ein klares Verhältnis besteht, so wie zwischen Managerinnen und Gemanagtem, da gibt es keinen Neid, da jeder seine Aufgaben gewissenhaft und zum gemeinsamen Vorteil und zum Nutzen der gemeinsamen Sache erfüllt. Daher ist es besser, wenn schon ab dem Ende der Pubertät oder spätestens zum Ende der Schulausbildung klare Wege aufgezeigt werden. Dies verhindert viel Leid und unnütze Energieverschwendung. Darüber sollte ernsthaft nachgedacht werden.“
„Die Interpretation der Vergangenheit ist ein Fass ohne Boden, da Lobbys diese immer gemäß eigener Bedürfnisse interpretieren werden; das heißt, sie werden als Wahrheit oder Inhalt der Vergangenheit das ansehen, was ihre Ziele rechtfertigt oder ihre Schuldzuweisungen untermauert. Daher ist es besser, die Vergangenheit als etwas Fremdes aufzufassen und ihr keinen Einfluss auf die Gegenwart zuzusprechen.“
„Die einzige wahre Liebe ist die, die keine Erfüllung findet. Denn jede erfüllte Liebe muss sich selbst im Moment ihrer Erfüllung für Tod erklären. Dies gilt es tief zu verstehen.“
„Wir sind es gewohnt, die Dinge als Zyklen zu sehen – auf Winter folgt der Frühling, der Sommer, der Herbst, aus Kindern werden Greise, und so weiter. Das hat uns geholfen, die Natur zu verstehen. Es hilft uns aber wenig bei der Betrachtung der eigentlich menschlichen Natur, die dieser niedrigeren Stufe der Natur entwachsen ist. Denn es gibt eine Natur unter, über und neben der Natur.“
„Dass die höhergestellten Menschen die Deutungshoheit über die Welt besitzen ist ein ganz natürlicher Umstand. Er bedeutet nicht, dass diese Menschen die Welt oder beispielsweise die Kunst besser verstehen als andere, oder auch nur, dass diese Menschen irgendwie intelligenter oder tiefschürfender wären. Ihre Position verlangt es einfach von ihnen, diese Deutungshoheit zu nutzen. Sie bezahlen dafür einen hohen Preis, denn sie verstehen tief, sie selbst sind im Grunde irrelevant. Was an ihnen wichtig ist, wahrlich wichtig ist, ist ihre Stellung. Daher sollten wir uns höhergestellten Menschen gegenüber immer untertänig zeigen und ihnen ihre Fehler verzeihen.“
„Heute glauben alle Menschen, dass sie sich mit dem Tod auseinandergesetzt haben, und dass sie ihn verwalten und steuern können. Das ist ein Fehlglaube. Egal, wie stark eine Kultur oder ein Mensch sich mit dem Tod beschäftigt, so glauben doch alle, dieser Tod liege in der Zukunft. Das stimmt nicht. Der Tod ereilt uns immer im nächsten Moment. Und da die normalen Menschen glauben, sie könnten mit ihrem Tod sozusagen tanzen und das Ende dieses Tanzes vielleicht auch hinauszögern, werden alle ihre Unternehmungen und alle ihre Gedanken falsch und lässlich sein. Die einzige Art, mit dem Tod umzugehen, ist, zu wissen, dass er in der Tür steht. Jetzt. Erst dann werden die sogenannten guten Taten der Leute, die sie tun, um irgendeine zukünftige Belohnung zu erhalten, und die daher nicht ehrlich und eher vom Schlechten behaftet sind, zu wirklichen Taten. Und so verhält es sich mit allem. Will ein Mensch nur Politikerin werden, um irgendwelchen Menschen in der Zukunft durch die Politik zu helfen und sich so als gut zu empfinden, so wird das Ergebnis eine schlechte Politik sein. Will dieser Mensch aber Politikerin werden, um die Macht zu spüren und den eigenen Durst nach Anerkennung als guter Mensch jetzt im Moment zu befriedigen, so kann etwas daraus werden. Wir müssen verstehen, dass nicht die Menschen gut sind, sondern die Menschheit, und wir müssen verstehen, dass unser Tod uns mit jedem Augenblick aus dem Leben reißt, um zu vermeiden, dass wir Ränke schmieden und unser Schicksal als Rädchen in unserer Community zu vermeiden suchen.“