Du hast gesagt, ich soll mir einen Namen aussuchen. Und Mams meint immer, ich soll tun, was die Erwachsenen sagen. Also. Hallo Welt, ich bin Alice. Ich bin ein Kind, und deswegen, so du, soll ich eben nicht sagen, wer meine Eltern sind und wie ich eigentlich heiße und wo ich wohne. Dabei ist es schön da, unser Haus ist direkt am See, und in den anderen Häusern am See wohnen andere Familien mit Kindern. Im Sommer planschen wir im Wasser oder schwimmen mit Flipper, unserem iDelfin, den Mams und Paps der Seegemeinde Weihnachten geschenkt haben, zur Holzplattform in der Mitte. Die Eltern grillen gerne am Strand und lachen viel. Ich gehe oft alleine mit meinen Freundinnen zur Schule, unser Motto da ist „Integration, Evolution, Freiheit“. Paps sagt, es ist eine gute Schule, die Lehrleute sind woke, und wir sind echt divers und empowered, was Mams wichtig ist. Wenn die Schulwoche vorbei ist kommt der Samstag, dann gehe ich mit Mams und Paps morgens zum Backup. Die Tankels da sind star, sie lächeln immer, reichen einem Getränke und auch mal was Süßes, wenn ich beispielsweise warten muss. Wenn wir dran sind, meisten ist das sofort, legen wir uns jeder auf ein Bett, und eine Helfe kommt herein und fragt, ob wir bequem liegen, und schließt die Backup-Sonde an. Die geht über den ganzen Kopf, die Welt sehe ich dann wie einen Schleier, und ich werde immer ganz müde. Dann kribbelt es, und ich schlafe ein, aber nur kurz. Es ist irgendwie seltsam. Unter der Woche weckt mich meine Nanny, damit ich rechtzeitig zur Schule komme, oder nach der Siesta zu einem Termin, zum Kreativspiel oder zur Wesensentwicklung. Aber beim Backup wache ich immer von alleine auf. Und das Kribbeln vergeht ganz plötzlich, schwups, wie ein Stück Schnur, das mein Kater Tommy wegzieht. Und ich fühle mich dann immer komisch.
Beim Aufwachen dort erinnere ich mich ganz deutlich an die letzte Woche. Das sind die Erinnerungen, für die ich während der Woche keine Zeit habe, wegen der Schule vielleicht. Nach dem Kribbeln denke ich immer erst, Mams und Paps waren die ganze Woche nicht kulturen, sondern bei mir. Dass wir zu Hause Sachen gemacht haben, oder mit den Nachbarn am See gegrillt. Ich spiele in den Erinnerungen oft mit meinem Freund Elias, der ist ein Jahr älter, und mit Yoko, von der anderen Seeseite. Die anderen Nachbarn treffen wir nicht, das ist mir aufgefallen, als Yoko nach Lunita gefragt hat. Elias und seine Eltern treffen wir auch oft, wenn wir vom Backup kommen, im Loungebereich.
An andere Dinge erinnere ich mich dann erst später, auf dem Weg nach Hause. Paps sagt, das ist normal und ungefährlich, und das Backup sei nur eine Sicherheit, weil wir uns so lieb haben, und bald wir es im, also, ich denke, er sagte Simsalabim, oder Simsalakrum, auch eine Skipiste geben. Ich hab‘ nicht ganz verstanden, was er damit meint, aber ich finde das toll, weil ich megasuper Ski fahre. Unterwegs erinnere ich mich dann immer, dass ich die Woche über nicht nur mit meinen Eltern und den Freunden vom See zusammen war, sondern auch in der Schule und so. Das liegt wohl am Heimweg, weil der an meiner Schule vorbei geht. Manchmal erinnere ich mich auch, dass Mams und Paps mal Streit hatten, oder dass wir im Theater waren oder so. Jedenfalls ist die neue Erinnerung nach dem Backup immer schön, weil da immer alle Lächeln, ich nennen sie meine lächelnde Erinnerung, und ich freue mich immer auf den lächelnden Samstag. Mams sagt, sie findet das kreativ.
Kürzlich aber, meine Tante war auch beim Backup, was manchmal passiert, hat Mams gar nicht gelächelt. Sie war sauer. Weil ich meine Freundin Rosa mitgebracht hatte, von einem Treffen wegen einer Schulaufgabe, damit sie das Kribbeln auch mal spürt. Wir gingen aber gar nicht zum Backup rein. Mams hat Rosa nach Hause geschickt und war dabei zuerst besonders nett, sie meinte, es tut ihr Leid, aber die Freunde, die wir besuchen, würden keinen weiteren Besuch haben wollen, und dann war sie sauer und hat ganz rattig geschimpft. Weil, sie hatte gesagt, ich soll nur mit Elias und ihr und Paps über das Backup reden, weil manche Menschen das nicht verstehen würden, und das Backup sei unser Geheimnis. Und dann hat sie gefragt, warum ich überhaupt solche Freundinnen habe, Rosa würde mir nichts bringen und sie würde nicht zu mir passen, und ihre Eltern hätten nicht mal ein Abschluss oder so, sie wären einfach. Ich fand das fies, sagte, sie ist aber meine Freundin, und ich finde, Freunde kann man überall hin mitnehmen. Komisch, Paps war da ganz stolz und meinte, ich bin ein guter Mensch. Da wurde Mams noch saurer, sie sagte, für Leute wie Rosa und ihre Eltern wäre eben leider kein Platz in unserem Simsalabim, sie würden nur Speicherplatz verschwenden, und Paps sagte gar nichts mehr, und ich fing an zu weinen. Meine Tante hat das mitgekriegt und mit Mams geschimpft, die meinte, das ginge sie aber nichts an, und sie habe sowieso komische Vorstellungen und keine Kinder und so. Aber dann legten wir uns hin, zum Backup, und ich habe mich wieder daran erinnert, wie wir die ganze Woche zusammen waren, und glücklich, und meine lächelnde Erinnerung machte alles wieder gut.
Ein paar Tage später wartete meine Tante vor der Schule. Sie lud mich und Rosa in eine Konditorei ein, in eine schicke, mit weiß-rosa Torten überall, und einem Robokaninchen-Ballett auf Bestellung, ich mag das sehr. Du saßt schon da und hast auf uns gewartet, und meine Tante, deren Namen ich ja auch nicht sagen soll, meinte, ich soll dir die Geschichte mit Rosa erzählen, weil die ganz gut ist, um das Simsalabim zu verstehen. Ich fand dich irgendwie wie Elias, also nett und etwas weniger intelligent als ich eben, und es gab Schlumpfkuchen, und du hast viel Zeug gefragt. Rosa langweilte das, und sie ist dann gegangen. Was kostet das hast du gefragt, wie viele Leute gehen da hin, wie werden Mitglieder geworben, solche Fragen, aber die konnte ich gar nicht richtig beantworten. Ich sollte dir dann alles aufschreiben, mit meinen eigenen Worten. Also habe ich dir die Geschichte meiner lächelnden Samstage aufgeschrieben. So. Punkt, deine Alice.