Von Salamandra.
Wir gratulieren dem schwimmenden Staat Alpha zu seinem 20. Geburtstag. Leider war es nicht möglich, mich persönlich zu den Feierlichkeiten zu senden, die auch nicht gestreamt werden. Transparenz ist, das dürfte klar sein, nicht wirklich das Ding der „speziellen Wirtschaftszone“. Ebensowenig die Eigenwerbung, sonst der wichtigste Grund einer Cloudpräsenz. Nachrichten aus Alpha sind selten. Zahlreiche Bewohner des Staats sind dagegen oft in den Medien zu sehen, ob in Musikvideos wie im Fall der „Alpha Boys“, oder vor neutralem Hintergrund, wenn die lokalen Wirtschaftsführer- und Wissenschaftlerinnen Erklärungen abgeben. Keiner der bekannten Alphaner spricht von sich über seine Wahlheimat, obwohl Alpha ein Hotspot ist. Alle möchten es schaffen, triumphieren, dort wohnen, angekommen sein. Warum? Wir wissen wenig über den Ort. Jedenfalls darüber, wie er heute ist.
Zu Beginn des Projekts, es war die zweite schwimmende „spezielle Wirtschaftszone“, wurde eifrig Werbung gemacht, es gab Dokumentationen, ein Bond-Film zeigte Szenen in Alpha, mit Wasserjagd und hypergestilten Sternchen vor schaukelnden Luxusinseln. Wer damals jung war, hat kaum vergessen, wie Bond vom Dach der dekadenten Böse-Buben-Cocktailbar ins Wasser springt, nach vorne in den Zuschauerraum, plastische Ultrarealität in Holovision. Ihr habt die Bilder sicher im Kopf oder auf dem Caster. Schnitt.
Dann wechselt der Besitz, für eine Unsumme, wie berichtet wurde. Manche sagen, die Bürger des jungen Staates hätten Alpha gekauft. Basisdemokratie für Reiche … Nun verschlechtert sich die Nachrichtenlage. Die Webcams gehen aus, Alpha ist von einer Firewall umgeben. Noch hat kein Cloudnaut glaubhaft den Slip ins Intranet der schwimmenden Welt geschafft. Dennoch kann ich mehr als nur historische Details anbieten. Ein Alphaner sprach mit mir. Die Unterhaltung lief Oldschool. Nur Audio. Er will anonym bleiben. Nennen wir ihn Mr. X.
Meine erste Frage zielte auf die eigentlichen Feierlichkeiten ab. Was gab es so? Big Bands, tanzende Hardbodies, Feuerwerke, Red Extasy in Hülle und Fülle? Mein Gesprächspartner fand meine Vorstellungen amüsant. Er sprach mit der gesuchten Aussprache der Kuratoren und Kulturbürokraten, mit angenehmem Bass:
„Wir bemühen uns, auf intelligente Art zu feiern. Wir genießen hervorragende Alkoholika, aber in Maßen. Wer hierher kommt, hat Disziplin bewiesen, hat etwas erreicht, will mehr aus sich machen. Wir besprachen die Zukunft Alphas, es gab Rückblicke. Ich würde unsere Gemeinschaft als hedonistisch-pragmatisch bezeichnen. Wir genossen Vernissage lokaler Kunst, dazu Darbietungen einiger der größeren Namen im Entertainment. Das Ganze wurde durch positive Designerdrogen pointiert, nichts, was den nächsten Tag belastet. Leider sind diese hervorragenden Produkte in den meisten konservativen Staaten weiterhin verboten. Flirts und Sex waren natürlich auch Teil der Sache. Aber am nächsten Tag trieben wir alle unsere Projekte voran.“
Ich fragte ihn, ob die Kinder denn wenigstens nicht in die Schule mussten. Seine Antwort überraschte mich. In Alpha, sagte er, gibt es keine Kinder. Hm. Ich wies ihn darauf hin, dass in Europa drei Kinder inzwischen als Statusminimum für die Oberschicht gilt. Alpha sei doch ein Rückzugsort für Superreiche, für Leute, die von ihren Beteiligungen an internationalen Konzernen leben können.
„Nichts könnte der Realität ferner sein. Alphaner:innen arbeiten mehr, als im rückwärtsgerichteten Sozialstaat Deutschland üblich. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich schätze und respektiere mein Heimatland. Es ist das Boot, das mich dahin trug, wo ich heute bin. Aber ich bevorzuge die Gemeinschaft Alphas. Wir lernen ständig, verbessern uns, forschen, manche lenken globale Unternehmen oder Hilfsorganisationen, via Cloudlink. Ohne jemandem zu Schaden.“
Ich merkte an, dass die Bewohnerinnen Alphas oft als eher egoistische, saturierte Erfolgsmenschen beschrieben – und dafür bewundert – werden: Stars, Programmierer, Leader … Er meint, „Erfolg“ stimmt natürlich: Ursprünglich habe sich eher die Welt der Hochfinanz in Alpha etabliert. Inzwischen hätten aber Größen aus Wissenschaft, Hilfe und Kunst gemerkt, dass sie unter intelligenten Menschen besser ihrer Leidenschaft nachgehen können „befreit von den Fallstricken der Demokratie und Mittelmäßigkeit. Nur gemeinsam kommen wir weiter – aber nicht in einem beliebigen ‘Wir’. Nicht, wenn du ständig zurückgehalten wirst. Wer in Alpha lebt hatte den starken Wunsch, der Standardexistenz zu entkommen. Allein dieser Wunsch kann Leistungen bedingen. So können auch ‘Normalos’ etwas leisten, selbst, wenn sie es nicht hierher schaffen. So wie große Kunst durch Vorbild auch den wenig Begabten, sind sie verständig genug, Publikum zu bleiben, optimiert“.
Ich stellte Fragen zu den Klimawerten des schwimmenden Staates. Mr. X sagte, für ihn und seine Mitbürgerinnen wären die Ziele der Nachhaltigkeit umfassend erreicht. Der schwimmende Staat sei für eine bewohnbare Erde kein Problem. Es sei gelungen, alles schwimmend anzubauen oder zu synthetisieren, was benötigt wird. Das Recycling funktioniere hervorragend, nur selten müssten Rohmaterialien bestellt werden. Der Transport erfolge dann per Segelfrachter.
„Wir sind alle passionierte Segler hier. Meist kommen Neubürger:innen mit ihrem eigenen Boot an. Die Künstler:innen unter uns versenden ihre Werke oder Konstruktionsanweisungen per Cloud. Eins ist klar: Wir sind nicht das Problem. Wird sind eher ein Vorbild, und wir sind friedlich. Fortschrittlich. Es gibt bei uns keine Religionen, keinen Neid, keine feindlichen Übernahmen. Nur Interesse und Fortschritt. Wir schreiben den nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen, Fitness und gesundes Leben sehr groß. Denn wer es schafft, hier aufgenommen zu werden, hat nicht nur was drauf, sondern ist auch sexy“.
Ich habe am Ende des Gesprächs einen bitteren Geschmack im Mund. Und frage mich, ob ich mir wünsche, mein Gesprächspartner hätte mich eingeladen, nach Alpha zu segeln. Aber dafür hätte ich erst mal segeln lernen müssen.