DIDIMOS: Ich spreche mit Heinz Rimbau und Inge Tufail-Witzleben von der Spieleschmiede KRASSMACHER. Inge, ihr habt gerade den Poser-Preis gewonnen?
INGE: Den Preis für Verdienste um den Erhalt der deutschen Kultur. Krass krass, was?
DIDIMOS: Ihr habt ihn abgelehnt. Warum?
INGE: Tjo. Das Preisgeld war verlockend. Hätte einiges möglich gemacht. Urlaub, Ausland und so. Aber wir hätten uns wie Verräter gefühlt …
DIDIMOS: Wieso? Der Preis ist angesehen …
INGE: Prestige ist uns schnuppe. Wir erstellen Game-Versionen historischer Filme von Rainer Werner Fassbinder, haben uns intensiv mit dem befasst. Er mochte die BRD, das West-Deutschland seiner Zeit nicht, das Konzept, die Idee, das … Fassi wollte wohl immer weg, hat‘s nie geschafft. Irgendwann haben wir gemerkt, heute sind wir … saturiert mit dem autogeilen Gefühl, Deutsch zu sein, ‚fairstes Land‘, ‚bestmögliches System‘, ‚Bürgerbeteiligung auf Höchstniveau‘. Stimmt vielleicht. Ist uns aber schnuppe.
HEINZ: Vielleicht. Aber diese ständige vollmundige Beteuerung, wir …
INGE: Ja, das ist uns aufgestoßen. Kotz. Und der Preis ist ein Ausdruck dieser Sache. Fette Welt, autogeile Welt, nicht neue Welt. Wir sind dagegen sehr.
DIDIMOS: Hättet ihr ihn für ein anderes Projekt angenommen?
INGE: Klar. Noch bei unserem letzten Immo, ‚Pandemie‘, über die Sache Anfang der 20er, dafür hätten wir ihn angenommen. Wir waren noch nicht so sensibilisiert.
HEINZ: Politisiert …
INGE: Naiv.
DIDIMOS: Politik folgt Spiel, finde ich gut. Reden wir über eure aktuelle Serie. Ihr habt drei Fassbinder-Games im Angebot …
HEINZ: ‚In einem Jahr mit 13 Monden‘, ‚Chinesisches Roulette‘, ‚Angst essen Seele auf‘ …
DIDIMOS: … werden weitere folgen?
INGE: Sicher. Bald kommt ‚Welt am Draht‘ raus. Megasache.
HEINZ: Ich denke, das lässt keinen kalt.
DIDMOS: Erläutert ihr uns das Konzept hinter der Reihe?
HEINZ: Wir nehmen die alten Filme und machen Games daraus. Geile Games.
INGE: Wir sehen uns die Sachen an, studieren die Entstehungszeit. Überlegen, warum was wie empfunden wurde. Fühlen das Wesen der Zeit. Den Seelenschlag. Dann kreieren wir die Immersionswelt, die Immo, in der mensch das spürt … den Zeitgeist. Hier ist das Widerstand. Das Gefühl, diese Zeit, diese Gesellschaft ist nicht richtig. Das Gefühl, raus zu wollen. Zu müssen. Leben wollen …
HEINZ: Und weil es Games sind, gibt es alternative Wege, Optionen. Wir programmieren die Game-KI auf authentische Reaktionen, machen also nicht die Happy-End-Auswege der Kommerzgamer. Es gibt immer wieder Überraschungen, Anderswege, Momente.
INGE: Genau, die Reaktion der Umwelt, die macht die Welten aus. Die Reaktion auf die eigenen Entscheidungen. Wir frisieren das nicht auf nett.
DIDIMOS: Inge, du meintest, der Zeitgeist jener Filme sei der Widerstand, und dadurch das Lebenwollen, und ich habe empfunden, du stellst das in Kontrast zu unserer Zeit?
HEINZ: Da sind wir uns einig. Heute, das ist eine Konsenszeit …
INGE: Die Zeit der Sofaschafe. Hast du die Originalfilme gesehen?
DIDIMOS: Klar, ich bevorzuge Flachfilme, wenn …
INGE: Schelm, du. Erinnerst du dich an die letzte Szene von ‚Welt am Draht‘? Die Ankunft in der Realität, die zu einer Art Tanz wird? Einem Kuss aus Ja und Nein und Vielleicht und so? Endlich den Regeln der Simulationswelt entflohen? Dem Teil-Sein im System entflohen? Als wäre das möglich, in einem Abenteuer sein, systemfrei, weg …
HEINZ: Genau das wollen wir ausdrücken. Genau das. Ist doch geil. Wir machen eine Immo über eine frühe Immo-Warnung. Rocken die Metaebene.
INGE: Etwas, das dem heutigen Zeitgeist nicht radder entgegenstehen könnte.
HEINZ: Ich prophezeie: Die Szene wird in tausend Recs geteilt werden, da werden die Seelen aufgehen, das wird Diskussionen geben …
DIDIMOS: Wie würdet ihr den heutigen Zeitgeist beschreiben?
INGE: Fügung, Unterwerfung unters ‚Richtige‘. Flucht ins Innere, Flucht in die Karriere. Ins System, nicht aus dem System … in den Dreck.
HEINZ: Sieh dir den Umgang mit Drogen an, diese populäre Sexdroge gerade. Das ist eine Droge der Unterwerfung. Es geht nicht um Bewusstseinserweiterung, wie die Leute das zumindest mal behauptet haben, sondern um Verengung der Wahrnehmung. Verneinung durch Animalismus. Nicht um Erfahrung, sondern um Sicherheit im Zwang. Im Ausschalten der Verantwortung, die im Alltag auf dem Altar steht. Um Rückzug. Das …
INGE: Wir sehen das als eine Funktion der Medien an, der Kommunikation von oben. Klar wegen der Krisen. Wann gab es zuletzt keine Krise, keine alternativlose Wahrheit?
BEIDE: Klimakrise, Viruskrise, Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise, Bildungskrise, Sprachkrise …
DIDIMOS: Ihr findet also, früher war alles besser?
HEINZ: Nee. Früher war echt viel schlimm, man kam aus der absoluten Scheiße und musste eine neue Zeit gegen die behäbige Scheiß-Vergangenheit …
INGE: Damit habe ich ein Problem. „Mann und Frau“ mussten überhaupt nichts. Der Einzelne, und du hättest hier auch ‚mensch‘ sagen können, wollte sich befreien. Hat gegen die Zeit rebelliert, die Gesellschaft. Aber das ‚ich mach das für eine bessere Zeit‘, das ist das Problem, weil, das ist doch gerade was die Leute heute alle machen. Damit werden sie zu Best Practices auf Beinen. Ohne Kanten, ohne nix.
DIDIMOS: Vielleicht wechseln wir das Thema … Habt ihr weitere Projekte?
INGE: Ja, und das passt schon auch zu der Disku, die du so rüde unterbrochen hast. Also zum einen relaunchen wir Duner …
DIDIMOS: Geil! Ich … Verzeihung, habt ihr Previews? Wir machen dann gerne ne Besprechung?
HEINZ: Klar. Geben wir dir.
DIDIMOS: Super! Aber jetzt machen wir erst mal Pause …