von Qarim
Als ich kürzlich mit meinen neuen Kolleginnen im „Küchenthing“ zum Mittagstisch saß, meinte Gonzo, es wäre doch mal Zeit für einen Bericht zur Entwicklung der Esskultur, der Bürgerküchen, überhaupt der ADK. Ein junger Mann im Jogginganzug meinte, wir sollten einfach mit der lokalen Bosserin reden; sie habe das alles schließlich angestoßen. Aha. Wie der Zufall es wollte, saß Frauke Conte gerade beim Kaffee – und hatte nichts dagegen, dass Gonzo und ich eine Unterhaltung dokten:
„Frauke, du sollst ADK gestartet haben. Stimmt das, wie kam das?“
„Andere Deutsche Küche ist ja eigentlich nur ein Name, der für die Fusion von deutscher Küche, von regionalen Produkten mit dazugekommenen Zutaten und Küchentechniken steht. Für Bio. Nachhaltigkeit, faire und klimaneutrale Produktionsbedingungen. Das war schon in den 20ern da, ganz kommerziell noch, überall gab es Trends und Trendchen, den Hype der Vegan-Industrie. Als wir unseren ersten Laden aufmachten und pescetarische deutsch-asiatische Fusion in der Hauptstraße anboten, war es, glaube ich, erst mal der Name, der Aufsehen erregte. Vielleicht auch der Umstand, dass wir Tradition behaupteten, wo eigentlich keine war, und …“
„Wie meinst du das?“
„Na, das war eigentlich nur unsere Küche. Nix Deutschdeutsch, Asiatum oder Ethnograf. Aber wir gaben unseren erfundenen Gerichten Mischnamen. Königsberger Vegan-Köfte, Kurries mit K. Das suggerierte so was wie eine Identität. Myalin …“
„Sie war?
„Myalin? Sie war meine Partnerin. Sinoschwäbin nannte volk sie damals. Wir waren 7 schöne Jahre zusammen, zogen das Geschäft auf. Dann trennten wir uns, im Einvernehmen. Sie wollte nicht, dass ihr Sohn in Berlin aufwächst. War ihr zu hart hier, kann ich verstehen. Die beiden leben in ihrer Heimat, Peer spricht auch so …“
„Ihr teilt die Elternschaft?“
„Neenee. Sie hatte einen Ferienschatten, sie entschied sich, Peer zu haben. Zuerst war das etwas seltsam, aber wir waren Freunde. Sexualität war damals weniger … Egal. Und wir waren ja Geschäftspartner. Unsere Inhalte liefen gut, Myalin machte im Süden das dann dritte ADK auf.“
„Was habt ihr angeboten? Was war euer Hype?“
„Leckere, einfache Gerichte, gewürzt mit unseren Versionen ihrer Genese, launisch erzählt, Geschichten zur Beschaffung der Zutaten, das machen Standardrestos heute noch. Am Anfang war die Klimasache wichtig, unser erster Blog hieß „Klimaküche im neuen Deutschland“, damals wurde mehr selber gekocht, da ging es um nachvollziehbare Rezepte für Privatküchen.“
„Stichwort Klimaküche. Kannst du etwas mehr dazu sagen?“
„Die Leute hatten Angst vor dem Klimawandel. Sie wollten nicht verantwortlich sein. In Sachen Image ging es, als Unternehmerin, darum, als sorgende Verwalterin und Partnerin aufzutreten. Als eine, die sich um die Sache kümmert. Schuldfreier Genuss war das Schlagwort. Wir sagten: Wir kochen, ohne Dinge zu benutzten, die klimaschädlich sind. Fleisch war sowieso tabu, Importwaren gab es nur in Ausnahmefällen. Man muss verstehen, damals lebten noch höchstens 20 % der deutschen Bevölkerung klimatarisch, oder vegan …“
„Gegenüber fast 70 Prozent heute.“
„Ja. Es waren seltsame Zeiten. Es musste was angeboten werden, das besser war als das alte, nicht unbedingt schmackhafter, etwas, das einem ideologisch-weltanschaulich ein Gefühl des Besserseins gab. Eigentlich wollte volk vegane Wollmilchsauschnitzel, wie Myalin das nannte – sie ist ja aus Süddeutschland, da sprechen die so blumig …“
„Du stehst dem, was du als damaliges Lebensgefühl beschreibst, kritisch gegenüber?“
„Gut gehört. Einschränken wollte sich ja keiner, volk zahlte eben einen Beitrag für genussvollen Klimaschutz. Es waren Zeiten voller, ja, Selbstgerechtigkeit.“
„Sag das den Leuten im überfluteten Bangladesch …“
„Hm. Ja. Auch so ein Totschlagargument. Bis jetzt warst du mir eigentlich sympathisch … Nur Scherz. Ernst. Ich habe keine Antworten. Und ja, ich habe mich zu weit hinausgelehnt. Neutral bleiben, so wie volk es will. Themenwechsel, bitte.“
„Wenn ich das richtig verstehe, warst du Klimaaktivistin?“
„Damals hätte ich dem zugestimmt. Gemäß des Trends hin zur Neutralität sollte ich das nicht zugeben, aber heute denke ich, ich redete nur mit. Vegetarierin war ich schon wegen meinen Eltern, die waren das seit den 80ern, wollten zum Schutz der Welt beitragen. Macht mich das zur Aktivistin? Ich stand Profis immer was misstrauisch gegenüber, auch, weil ich selbst keine war. Denke, auch das trug zu unserer Popularität bei. Wir waren eben keine Ernährungsexpertinnen, keine „Gura“, wie das hieß, sondern sagten: Wir probieren das mal aus, informieren uns unterwegs, und das sind unsere Ideale …“
„Ihr hattet keinen Hintergrund in …“
„Wir hatten beide nicht studiert, kamen aus schwierigen Verhältnissen. Damals konnte frau noch was reißen, auch ohne Akademisierung …“
„Der du auch kritisch gegenüber stehst?“
„Vielleicht finde ich die Akademisierung komisch, weil sie ein Abgrenzungsmechanismus ist. Der meiner Meinung nach das behauptete Ideal vom freien, lebenslangem Zugang zu Bildung eher abbaut. Na, mein Neutralmeter ist im Keller … Aber nein. Ich finde es toll, wenn wer was weiß. Damals erklärten wir auch immer gerne, wie unsere Gerichte zustande kommen. Einmal hatten wir einen Gast, der tatsächlich Lebensmittelchemie studierte. Der fragte mich was, wie du heute, wir quasselten. Er wusste ein paar Sachen besser als wir. Also haben wir von ihm gelernt. Und einen kulinarisch-chemischen Abend eingerichtet, bei dem wir mit ihm darüber redeten, wie was warum funktioniert. Das war beliebt, es waren für mich die tollsten Abende im ADK – erst kam die Erklärung, dann das Essen, dann die Diskussion …“
„Warum heißt dein Laden heute nicht mehr ADK?“
„Das wurde mir einfach zu popol. Wir wurden überrannt, ich fand, ich hatte genug verdient … also gab ich das Resto Mitte der 30er auf, erlaubte mir den Luxus, zu reisen. Ich war nicht gepartnert, hatte das Glück, im Freundessystem mit Menschen Zeit zu verbringen, die sich nicht hinterher als schwierig erwiesen, als Halterinnen, und ich hatte Geld. Ich durfte einmal um die Welt, ohne mich um meine Existenz zu sorgen. Als ich dann wieder ankam … War ich erst mal Volk. Gesellschaftsmaterial. Aber Myalin, Kusskuss, lieh mir Kapital, und ich machte diesen Laden auf. ADK wollt ich’s nicht mehr nennen, ist Myas Kette. Ich nannte es Küchenthing …
„Kannst du uns die Namenswahl erläutern?“
„Thing? OK. Ich gebe es zu. Ich bin eine Querulantin …“
„Das …“
„Lass mich ausreden. Damals hatten die Identitären mehr Dampf unter den Flügeln. Und machten sich immer wieder daran, nordische Sachen und so zu vereinnahmen. Klar. Meinungsfreiheit, Blabla, jeder kann und so. Aber ich hatte immer so einen nordischen Tick, der Herkunft geschuldet, fand, ich überlasse das denen nicht. Also, meine Fantasiewelt, eigentlich. Wenn die sagten: Wir aus dem Norden sind traditionell Rassistinnen und ausgrenzend, sagte ich: Wir aus dem Norden sind traditionell demokratisch, individualistisch und offen für jeden, der ins Thing kommen will. In die Versammlung Gleicher. Und alle sind gleich. Ich meine, ihr thingt ja hier auch mit uns. Ihr seid zu mir gekommen, wir quasseln, ihr habt ein Abo. Wart ihr schon mal abends hier?“
„Tatsächlich nein.“
„Macht das mal. Die Leute sind eager, Dinge gemeinsam zu tun. Und dank dem Abosystem ist es nicht teuer. Wir halten die Zutaten für ein paar Gerichte bereit, schnippeln, köcheln zusammen, und nachher bedient sich jeder vom Tisch.“
„Ja … Wir kommen sicher vorbei. Frauke, danke für dieses Gespräch.“