Kurze Anmerkung: Ich bin bei DIDIMOS brandneu, erster Tag heute, schreibe den Text, weil ich den Antrag einbrachte, DIDIMOS solle Entgendern. Dabei habe ich mich als Anhänger der Asex-Bewegung geoutet. Was eine heiße Diskussion bedingte. Dazu: Im Grunde ist mir das Entgendern nicht wichtig. Genausowenig das Tag, das volk auf mich anwenden mag. Nur, die allgemeine Verpflichtung zum Gendern in der Öffentlichkeit, wie sie aktuell gefordert wird, geht mir zu weit. Ich finde, das immer detailliertere Reglementieren der Sprache hilft niemandem. Das würde auch für ein verpflichtendes Entgendern gelten, entsprechend ist mein Antrag eine Provokation und Reaktion auf die aktuelle Politik. Entschlossen wurde nach Abstimmung: DIDIMOS schreibt nichts vor, die Sprache bleibt dem Einzelnen überlassen, der Überzeugung, auch der „Schnauze“. Gut so. Aber ich soll was dazu sagen. OK.
Warum ist das überhaupt problematisch? Gebrauchstexte, Amtsmitteilungen, Nachrichten und so werden sprachlich nach individuellen Vorgaben angepasst, meist einfach nach Meldegender. Live-Medienpersonen, Beamte, Politiker drücken sich sperrig aus, geht klar. Warum fühle ich mich also durch den Antrag, das Gendern im öffentlichen Raum verpflichtend zu machen, so seltsam angefasst? Wer nicht will kann doch einfach im Privatraum bleiben? Gute Frage.
Vor so 50-60 Jahren, als die Sache aufkam, war Deutsch anders. Klar, „die patriarchalisch-exklusive Sprache einer patriarchalischen Gesellschaft erzeugte patriarchalische Grundhaltungen und gesellschaftlichen, von der Obrigkeit geprägten Konsens“ , haben wir in der Schule gelernt. Konkret ist die damals sehr häufige Verwendung des Pronomens „man“ auffällig, was aktuell die Zugehörigkeit zur Unterschicht oder entsprechenden Ideogruppen nahelegt. Ich habe es nachgesehen, im Grunde nutzten die Leute das Wort synonym für „irgendwer“. Die rad subkulturige Pluralform, femininer Artikel und maskuline Einzahl („die Ärzte“ statt „die Ärztinnen“/“Ärzt-al“) war weit verbreitet, panische Zeiten. „Die Ärzte“ hört sich rotzig an, nicht nach Alltag. Dann gab es auch schräge Formulierungen, in denen ein allgemeiner männlicher Singular als Allgemeinform gedacht wurde („Der Forscher untersucht …“ statt z. B. „Die Forscher:innen untersuchen“, oder entgendert: „Forscher-al untersuchen …“). Sowas habe ich Live nie gehört. Die Sprache hat sich also verändert.
In unserer Runde meinten einige, Sprache müsse weitgreifend reguliert werden, anders sei die Masse nicht zu erziehen, Verbesserungen im „Bürgermaterial“ wären immer auf kluge Gesetze zurückzuführen. Dagegen wurde gewettert, irgendwer meinte: „Die Oberschicht gendert immer, damit hat sie sich abgesetzt; in eine Chefetage oder Uni kommst du nur gendernd“ . Keine Ahnung, ob das stimmt. Andererseits gibt es eben Sprachvorgaben.
Ich dachte an meine Eltern und Großeltern. Die gendern nie. Sie sprechen deswegen nicht wie die poppen Hypersexer, in deren Songs oft ‚mann’, mit zwei stark betonten „n“, vorkommt, oder „weib“. Erfolgreich, jung, der Albtraum der Polischicht. „Junge asoziale Antis“. Hm.
OK, aber meine Vorfahren hätten wohl auch kaum entgendert. Sie sind also „ewiggestrig“. Egal. Die Frage ist für mich, hat das Gendern unsere Gesellschaft gerechter gemacht? Hm. Ich hab’s mal nachgesehen. Die Vermögensschere ist weiter auf als je in diesem Jahrhundert. In ganz Europa, besonders in Deutschland. Trotz der gerechten Genderverteilung in den Chef- und Politetagen. Heißt wohl, das System wurde nicht verändert. In einer alten Publikation fand ich folgenden Text:
„A man and his son are in a horrible r accident. The father dies, the son suffers grave injuries. He is rushed to a hospital, straight to the operating room. The doctor comes in, sees the patient and says: ‚I can’t operate on him. He’s my son!’“
Ich bin drauf reingefallen. Vielleicht ihr nicht. Laut Umtext sind damals fast alle nicht auf die „Lösung“ gekommen. Die Ärztin, die hereinkommt, ist die Mutter. Selbst in einer Sprache ohne grammatisches Geschlecht ist oder war wohl eine machozentrische Annahme präsent. Weil die Gesellschaft so dachte/war? Ist das Problem vielleicht nicht so sehr die Sprache? In einem anderen Text (Sci-Fi aus den 20ern) beklagt ein KB (künstliches Bewusstsein) die „binäre Vorstellungswelt der Biologischen. Sie denken gerne in Gegensatzpaaren. Gut/Schlecht. Richtig/Falsch. Mann/Frau. Dabei wird ganz automatisch das als ‚normaler‘ gesetzte Element an den Anfang gesetzt. Ist der Automatismus abgeschaltet, läuft das biologische Denken anders, da die Auflösung des Biogeistes dort am höchsten ist, wo sein Fokus liegt“ .
Was ich an der Meinung des KB mag: Die „Biologischen“ haben, obwohl rückständig, die Option, sich selbst zu verstehen, sind nicht einem automatischen Sexismus ausgeliefert, egal, ob sie nun Englisch oder Deutsch oder wasimmer sprechen. Also: Sprache macht weder Sexistisch noch Antisexistisch. Folgender Text eines Professors stammt aus dem Jahr 2020:
„ Leute glauben, dass sie irgendetwas denken, aber vielleicht stimmt das gar nicht. Es gibt ne Menge Studien im Bereich der Psycholinguistik, die gezeigt haben, dass es doch subtile Unterschiede gibt, ob jemand sagt: Da sitzen zwei Lehrer*innen oder da sitzen zwei Lehrer. In der Art, was dabei konzeptualisiert wird. Und ich glaube, das kann man mittlerweile nach 35 Jahren empirischer Forschung in dem Bereich auch nicht mehr abstreiten, dass es Konzeptualisierungsunterschiede gibt.“
Irgendwie fand ich den Text überheblich. Erziehmensch spricht. Trotz des „vielleicht“. Der Rahmentext brachte das Zitat als Begründung für das Gendern, das damals durchgesetzt wurde. Aber: „Lehrer“ und „Lehrer*innen“ müssen anders ankommen, damals wie heute, mit und ohne Kontext. Wozu gäbe es sonst den Unterschied im Ausdruck? Der eigentliche Kicker für mich: Wurde da wirklich gedacht, dass Leute mit einer Muttersprache mit grammatischem Geschlecht tendenziell Denk-Sexisten waren?
Ich denke an meine Eltern. Ich schätze, sie wollten immer gut sein, fair. Ist bei ihnen die „heilsame Micro-Änderung in der Denkstruktur“ nicht angekommen? Die Annahme ist wohl, wie bei dem Prof oben, Menschen sind Material. Wer die historische Sprache verwendet, ist unbewusst sexistisch. Geben wir den Menschen eine bessere Sprache, so werden sie besser. Ist das ein Heilsversprechen? Ist meine sich entwickelnde Haltung kindisch? Und was meint mein Großvater aus Flensburg, wenn er „denn man tau“ sagt? Egal, was ich meine ist: Das verpflichtende Gendern fühlt sich an wie Lobbyismus, ich bin für „Offenheit statt Inklusion“, wie das mal hieß. Ich denke, wir alle wollen Gerechtigkeit und Gleichheit und Abenteuer. Deswegen bin ich für das Entgendern.
Ich spazierte über einen Friedhof. Ich mag alte Schlager, besuchte das Grab von Rio Reiser, summte „Der Traum ist aus“ . Nahebei findet sich ein Grab, auf dem „Die Menschenrechte haben kein Geschlecht“ steht. Begraben wurde da die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm. Meinte sie das grammatische Geschlecht? Egal, sie schrieb mit der damals gebräuchlichen Sprache gegen die Eliten- und Männerwelt an. Nochmal: Das KB aus dem Roman oben halte ich für menschenfreundlich, weil es glaubt, Frau Dohm konnte über sich hinauswachsen, trotz der „Männersprache“. Sie konnte ihre eigene Sprache finden. Ihren Ausdruck. Ist dieser Ansatz kindisch, kindlich, bigott, falsch, macho? Vielleicht.
Vielleicht. Mein Bauch sagt trotzdem, da ist was dran.
Da ist noch ein Zitat aus einem alten Interview, das ich einfügen wollte: „Das Gendern setzt sich durch, manche triumphieren, andere greinen. Nun. Es ist eine Revolution von oben und daher nicht tanzbar. Macht nichts. Denn ein sicher Gutes hat die Sache, der Sprachgebrauch zerbricht, die Sprache geht spielen und nimmt mich mit. Irgendwohin, wo gepfefferte Worte wachsen, genderfrei und fehlerhaft. Doch irgendwie scheint es, als solle die Sprache ihrer Dornen beraubt werden.“
Ich wurde gefragt, ob ich überhaupt selbst Entgendere? Die Frage ist gut, denn ich vermeide meist nur Zuordnungen. Umschreibe. „Entgendern“ ist für mich ein kreativer Umgang mit dem Gegebenen und, in dem Versuch, eine Neuform zu finden, auch irgendwie dem Gendern verwandt. Irgendwie. Ich nutze gerne die Endung „-al“ fürs allgemeine Plural. Eigentlich denke ich schon, über Sprache lässt sich viel ändern. Aber von unten her, durch Überzeugen und Begeistern. Durch das Wunder des Verstehens. Das wirkt weltfern, wie manche meinen, und hoffnungslos, aber ich mag Don Quichotte. Die Figur ist meine Art Mensch. Mann. Mensch.
Hier noch ein kurzes Zitat, von einem Verfasser einer deutschsprachigen Grammatik aus dem 17. Jahrhundert, Justus Schottel: „Das einzige Band menschlicher Einigkeit, das Mittel zum Guten, zur Tugend und zur Seligkeit, und die höchste Zier des vernünftlichen Menschen sind die Sprachen“ . Denn man tau.