eine frage treibt uns wieder um. wie sollen wir sprechen? wie schreiben? wie wollen wir denken? ein unbehagen bringt diese frage hervor, das unbehagen an der gegenwärtigen machtverteilung. und unbehaglich wird sie in unseren dem zweifel zugeneigten didimos raum gestellt, als antrag verkleidet: sollte man nicht zur gänze aufs geschlechtliche sprechen verzichten? entgendern was das zeug hält? wäre das nicht gerechter? die antragstellerin – die geschätzte neue kollegin tala gosh, eine mensch mit männlichem geschlechtshintergrund – ist eine ehrliche reflektierte mensch, sie meint es gut. sie empfindet die allgemeine verwendung des grammatischen femininums als einseitig und allenthalben ungerecht. denn, so tala gosh, nur die einflussreichen, mächtigen, schönen und bestimmenden mitglieder der gesellschaft könnten es sich leisten, sich ihre spreche auszusuchen; die anderen, bodensatz, arme, ältere, machtlose, redeten ohnehin wie ihr schnabel gewachsen sei und seien deshalb von teilhabe oft ausgeschlossen; die sollten nicht noch zu etwas gezwungen werden. anders gesagt: die verbindliche sprachverwendung sei immer noch eine machtfrage, und das sei ungut und gehöre geändert. entgendert.
tala gosh hat recht. das allgemeine femininum hat sich in der sprache nicht friedlich durchgesetzt. es wurde erkämpft. es war ein machtkampf. es war ein kampf um teilhabe, um respekt, um sichtbarkeit des unterdrückten und verschluckten fems; und dann war es auch ein kampf um sieg oder niederlage. die diskurs civil wars der 2020er jahre prägen uns bis heute (und flackern immer wieder in neuer gestalt auf). „seit 2000 jahren herrscht phallus in der sprache, jetzt ist vagina dran für die nächsten 2000 jahre!“ brüllte meine mama jeder ins ohr, und sie trug immer ein messer bei sich. es waren harte zeiten, es waren lustige, blutige zeiten. MANN machte konzessionen, wich zurück, der doppelpunkt, das gender sternchen, aber FRAU setzte nach mit dem argument: wir kämpfen nicht dafür, die sprache komplizierter zu machen im sinne einer gerechtigkeit; sondern dafür, sie zu verändern! ein grosses JA zur feminilen machtübernahme, und keine kompromisse!
genug der kämpfe von gestern. wir wissen alle, das sich letztlich doch ein kompromiss durchgesetzt hat: das allgemeine femininum sei die schriftnorm (in behörden, firmen, offiziellen texten); im privaten gebrauch herrsche vielfalt und toleranz, eingedenk der biologischen tatsache, dass die alten sprechpatriarchinnen ohnehin am aussterben sind, so wie die verwenderinnen der wendungen „negerkuss“, „frollein“ und „bis zur vergasung“ zum glück ausgestorben sind.
nun also entgendern? nicht vorwärts in richtung einer reinen feminilen sprache, sondern vorsichtig lieber ganz aufs geschlecht verzichten? in meinen augen wäre das historisch verrat an den kämpfen unserer erzeugerinnen. aber nicht nur das. es wäre auch rückschritt, eine revision mit fatalen folgen.
entgendern heißt neutralität. heißt verzicht auf konfrontation und kampf. heißt verzicht auf normative gestaltung. entgendertes sprechen oder schreiben ist wie agnostizismus: zwar möchte rationale frau streng genommen atheistin sein, aber aus angst, es könne eventuell doch eine göttin geben, zieht sie sich in den gemütlicheren schutzraum des „wir können es niemals wissen“ zurück. es ist ein versuch, nicht haftbar gemacht zu werden. lieber nichts von beiden – als die dominanz einer seite ertragen. lieber geschlechtslos – als feminin. nicht umsonst bezeichnet tala gosh sich als asexueller. (warum eigentlich als asexueller? nicht als asexuelle? kommt da nicht die wahre angst der antragstellerin zum ausdruck?)
alors, ich bin vehement gegen das entgendern, weil es ein aufgeben impliziert, einen rückschritt, einen kompromiss mit gestern. ich aber will die welt verändern, voran stoßen. zur welt gehören: macht und sprache. ich stehe und kämpfe – das dürfte klar geworden sein – für ein feminiles gesellschaftssystem (matriarchat ist irreführend, es geht uns nicht ums mütterliche) und eine feminile sprache. ein diktat? warum nicht!
entgendern bedeutet: schärfen rausnehmen, sich nicht stoßen, so gerecht wie möglich auf einem möglichst niedrigen level debattieren. diese bremsende haltung aber hat uns im übergang vom industriellen zum digitalen zeitalter ökologisch und ökonomisch (beinahe) den kopf gekostet, die klimakillende lebensweise – lieber weniger als mehr, lieber zurückrudern als vorwärts stoßen – so argumentierten die kompromissbereiten bewahrer des spätindustriellen zeitalters. und hier krauchen wir jetzt, und kämpfen ums überleben!
parteiisches gendern ist stoß ins unbekannte, ist utopie. wir sind wirkmächtig. wir können und müssen unser leben, also auch unsere sprache, ändern. eine entgenderte welt wäre nur die welt der kompromisse und langsamen schritte, zwei vor, einer zurück. ich will aber eine andere welt, eine neue, gestaltete, am liebsten feminile. eine welt, die sogar die sterblichkeit und mütterlichkeit und bedingtheit besiegen kann, so wie sie die herrschaft des phallus (fast schon) besiegt hat. nicht stehenbleiben auf diesem weg!
wir gestalten uns. wir bauen uns. wir optimieren uns. wir müssen uns ändern. wir können uns ändern. wir müssen gendern. diktaturgefahr? klar. ich freue mich schon auf widerstand und neue andere klare utopien!
aber versuchen dem kampf auszuweichen durch neutralität (entgendern) bedeutet, dem naturzustand wieder mehr macht einzuräumen, bedeutet rückschritt. und das wäre das diktat des todes.
wer leben will, der ändert.
und gendert.
feminil